Die Geschichte von Glattbach

In einem langgestreckten Tal, nach Norden und Osten durch bewaldete Bergrücken geschützt, vier Kilometer nördlich von Aschaffenburg, liegt Glattbach.

Zur Zeit der Baumblüte steht es an Blütenpracht den Orten der Bergstraße nicht nach, der Wald lädt mit gut markierten Wegen und zahlreichen Bänken  zum Wandern und zur Rast ein, und von den Höhen bietet sich ein reizvoller Blick auf Aschaffenburg und das Maintal. Auch der Geologe kann hier interessante Funde finden, besonders im kristallinen Urgestein.
Im zwölften Jahrhundert reichte der Wald noch bis an die Tore der Stadt Aschaffenburg. In den Bachtälern wohnten in bescheidenen Niederlassungen hörige Dienstleute des Mainzer Erzbischofs, die in der Forstwirtschaft beschäftigt waren und von der Jagd und geringem Ackerbau lebten. Aus solch einer Siedlung entwickelte sich im Lauf der Jahrhunderte das Dorf Glattbach, früher Gladebach, auch Gladbach genannt. Es bekam seinen Namen wohl von' den goldglänzenden Glimmersteinen, die man an den Ufern und im Bett des Dorfbaches fand. (glad = glänzend, Gladebach glänzender Bach).
Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren sehr bescheiden, Frondienste, Zehntabgaben und drückende Schuldenlasten hemmten jede Aufwärtsentwicklung, den einzigen Reichtum stellten die Weinberge dar, die an den sonnigen Süd- und Südwesthängen gelegen waren. Flurnamen wie ..Wingert unterm Dorf, Wingert oberm Dorf" oder ,,Am heißen Stein" erinnern noch heute an den Weinbau. Daß der ,,Glattbacher" kein schlechter Tropfen war, davon zeugte der Umstand, daß Graf Schönborn hier einen Weinberg besaß. Nach häufigen Mißernten mußten die Reben gegen Ende des 18. Jahrhunderts ausgehauen werden, und ein intensiver Obstbau trat an Stelle des Weinbaus ("Glattbacher Kirschen").

Als Gewerbe war besonders die Leineweberei stark vertreten. 1832 sind noch 17 Leinweber in alten Gemeindebüchern vermerkt.

Die fortwährende Güterteilung nach dem Mainzer Erbrecht bewirkte, daß die zu bebauende Fläche der einzelnen Bauern immer kleiner wurde. Teilten sich noch 1661 nur zehn Familien in die 310 Hektar große Gemarkung, so waren es in der Mitte des 18. Jahrhunderts schon 50 Nachbarn (so nannte man die Ortsansässigen im Gegensatz zu den Beisassen, den Zugezogenen ohne Grundbesitz und Rechte, die Ihre Nahrung dem Boden abringen mußten.

Das einzige größere Anwesen war mit 97 Morgen des "herrschaftlichen Höfchen", das aus adeligem Besitz im Jahr 1334 durch Schenkung an das Stift St. Peter und Alexander überging und von den Stiftsherren an verschiedene Landedelleuten verliehen wurde. Später kam das Hofgut an den Landesherrn, den Kurfürsten von Mainz. und zuletzt (um 1837) durch Kauf in den Privatbesitz der Erbbeständerfamilie Heeg. Um das Jahr 1800 wurde die alte Hofreith abgerissen und auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein größeres Anwesen mit Öl und Tabaksmühle und einem Kelterhaus errichtet - der heutige Helmshof.

Die Lage des Dorfes in einen abgeschlossenen Tal brachte es mit, daß es keinen Durchgangsverkehr gab. Trotzdem blieb Glattbach in den Not- und Kriegeszeiten, die das Untermaingebiet immer wieder heimsuchten keineswegs verschont. Daran mag wohl die Nähe der Stadt Aschaffenburg schuld gewesen sein, aber auch die Gelnhäuser Straße, eine alte Heer- und Handelsstraße, die westlich an Glattbach vorbei auf die Johannesberger Höhe führte. Plündernde, sengende, mordende Kriegsvölker brachten Not und Elend über die Bevölkerung, schreckliche Seuchen rafften die Menschen hinweg. Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren von 33 Familien nur noch zehn am Leben, 20 Häuser waren vom Erdboden verschwunden, mehrfach flüchtete die Bevölkerung vor den Soldaten. So versteckte sich 1743, als die Engländer vom 18. bis 26. Juni täglich plünderten, die ,,ganze Gemeyn" elf Tage in den Spessartwäldern.

Im Gefolge der Kriege traten schreckliche Seuchen auf. An die schlimmsten Pestjahre 1606 und 1636 erinnern noch heute zwei Bildstöcke, ,,Peststeine" genannt, an der Hauptstraße. In höchster Not gelobte die Bevölkerung, einen Fest und Bußtag ,,auf ewige Zeiten" zu halten, wenn die Krankheit zum Erlöschen käme. An diesem "Hellfeiertag", dem Freitag vor Michaeli, durfte kein Herdfeuer angezündet werden, Menschen und Vieh hielten strenges Fasten. und alle Arbeit ruhte. Bis in den ersten Weltkrieg hinein wurde das Gelübde streng gehalten.

Schon im zwölften Jahrhundert wird Glattbach als Filiale der Pfarrei St. Agathe zu Aschaffenburg erwähnt. Von einem Gotteshaus liegt bis zum 17. Jahrhundert keine Nachricht vor. Im Jahr 1682 wurde eine Kapelle zu Ehren des hl. Nikolaus errichtet und von dem Kapuzinerpater Martin von Cochem, einem berühmten Bußprediger und Volksschriftsteller, geweiht. Der Ort zählte damals etwa 180 bis 200 Einwohner. Die Kapelle stand mit Friedhof und Schulhaus auf dem Platz, den die jetzige Kirche einnimmt. Sie stand nicht lange, schon 1727 wurde auf derselben Stelle ein neues Gotteshaus gebaut, das Magdalenenkirchlein. Es wurde in der erstaunlich kurzen Zeit von vier Monaten errichtet. Gottesdienst war nur einmal im Monat an einem Werktag, erst ab 1775 scheint wenigstens den Winter über ein Sonntagsgottesdienst stattgefunden zu haben, meist durch einen Kapuzinerpater. 1890 wurde eine Lokalkaplanei errichtet, diese wurde am 14. Dezember 1922 zur Pfarrei erhoben. Zehn Geistliche wirkten als Lokalkapläne in Glattbach. Erster Pfarrer war Christian Benz aus Weibersbrunn, der diese Stelle 25 Jahre lang innehatte, bis er am 20. Dezember 1948 tödlich verunglückte. 1899 wurde das Magdalenenkirchlein abgerissen. Es begann der Bau der heutigen, neugotischen Pfarrkirche Maria Himmelfahrt, die am 15. August 1901 geweiht wurde. Damals zählte die Pfarrei etwa 700 Katholiken.  

Schon um 1730 gab es in Glattbach Schulunterricht, doch hatte das Dorf bis 1671 nur eine Schulstelle. Die Schulmeister waren bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Handwerker, die den Unterricht nebenberuflich betrieben oder durch Gehilfen halten ließen. Das älteste bekannt Schulhaus stand hinter dem Magdalenenkirchlein und enthielt neben Schulsaal und Lehrerwohnung auch ein Gemeindezimmer. 1878 wurde das zweite Schulhaus erbaut, das damals zu den schönsten weit und breit zählte. Es dient seit 1986 als Rathaus, nachdem die Volksschule die neuen Gebäude ,,auf dem Schwalbesgraben" bezogen hatte, den ersten Trakt 1958, den zweiten 1964.

Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts und die starke Zersplitterung des Bodenbesitzes durch ständige Erbteil brachten einen ersten Strukturwandel des Ortes vom reinen Bauern- zum Arbeiterdorf. Glattbacher gehörten zum Stammpersonal der ,,Bunt." Ein Glattbacher, der Schneider Johann Desch, 1848 geboren, kam in seiner Werkstatt auf die Idee, Anzüge nach Normalmaßen auf Vorrat zu nähen und von Heimarbeitern nähen zu lassen. Diese ersten Konfektionsanzüge fanden reißenden Absatz in den aufstrebenden Industriestädten Hanau, Frankfurt und Offenbach. Das Unternehmen vergrößert sich rasch, Johann Desch kaufte ein Haus in Aschaffenburg und ließ 1874 die erste Herrenkleiderfabrik in das Handelsregister der Stadt eintragen. Die Wiege dieses so bedeutenden Industriezweiges des Aschaffenburger Raumes war jene Schneiderwerkstatt in Glattbach.

Im zweiten Weltkrieg hatte das Dorf unter den Bombenangriffen der Jahre 1944/45 sehr zu leiden. Vierzehn Menschen kamen dabei ums Leben, über hundert Gebäude wurden ganz oder teilweise zerstört, darunter der Kindergarten und die Turnhalle. Nach dem Krieg vollzog sich ein Wiederaufbau durch rege Bautätigkeit und durch starken Zuzug ein neuer Wandel. Glattbach ist  nunmehr eine Wohnsiedlungsgemeinde mit nahezu 3800 Einwohnern geworden, begünstigt durch die Nähe der Stadt und die landschaftlich reizvolle Lage. Die Einwohner sind meist Pendler, die überwiegend in Aschaffenburg Arbeit finden.

Von Anneliese Morhard